Genossen stehen zur SPD-Führung

Kurz vor Ende der SPD-Mitgliederabstimmung zum Koalitionsvertrag hat der Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch noch einmal in Laatzen um Zustimmung geworben.

Von Daniel Junker Laatzen. „Ich hätte zu Beginn der Verhandlungen nicht gedacht, dass wir so viele zentrale Punkte durchsetzen können“, sagte er vor Parteimitgliedern am Montag im Erich Kästner Schulzentrum. Als Beispiele nannte er die geplante Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, die Stärkung der Kommunen sowie Fortschritte bei der Alters- und Gesundheitsversorgung. Allerdings sprach Miersch auch Schwächen im Papier an: Dass das Betreuungsgeld weiterhin Bestand haben soll, sei ein großer Fehler. „Es ist gesellschaftspolitisch der falsche Weg, und wir werden weiter darüber diskutieren müssen, wenn es um die Finanzierung geht.“ Bei der Energiepolitik lasse der Koalitionsvertrag sehr viel Auslegung zu. „Da wird es auf den Alltag im Parlament ankommen.“ Zum Teilerfolg aus sozialdemokratischer Sicht bei der doppelten Staatsbürgerschaft sagte Miersch: „Ich glaube, dass das für die CDU/CSU ein Paradigmenwechsel ist. Der Zug ist auf dem Gleis. Es wird schwer für die Union, das wieder zurückzunehmen.“

Die Finanzierung des Vertrages sieht Miersch hingegen sehr skeptisch. „Schäuble sagt, dass alles gedeckelt ist. Ich glaube das nicht. Meiner Ansicht nach ist das der Schwachpunkt des Koalitionsvertrages.“ Eine Zuschauerin war derselben Meinung: „Angela Merkel wird in zwei Jahren ankündigen, dass Steuererhöhungen alternativlos sind.“

Nach Ansicht des Bundestagsabgeordneten habe die SPD weitere „Kröten schlucken“ müssen: „Bei der Spitzensteuer, der Bürgerversicherung, dem Betreuungsgeld und der Vorratsdatenspeicherung haben wir uns nicht durchsetzen können.“ Offene Fragen gebe es weiterhin zur Maut, dem Drohneneinsatz und zu Lebenspartnerschaften. „Wir werden da noch richtig ringen müssen.“ Alternativen zu einer großen Koalition sieht Miersch aber nicht: „Ich bin mir sicher, dass eine rot-rot-grüne Minderheitenregierung schnell am Ende wäre, wenn es um außenpolitische Abstimmungen geht. Und wenn sie scheitert, bräuchten wir darüber in absehbarer Zeit nicht mehr nachdenken.“ Bei Neuwahlen hält er den Einzug der AFD nicht für unwahrscheinlich, „möglicherweise würde sogar die FDP reanimiert“. Zudem befürchtet Miersch, dass die SPD bei einer Neuabstimmung deutlich abrutschen würde. „Wir können nicht zur Seite schieben, dass viele wollen, dass die SPD Verantwortung übernimmt.“ In den vergangenen Wochen habe er sehr emotionale Diskussionen erlebt: „Manche sagen sogar, das ist nicht mehr meine Partei. Man sollte sich aber überlegen, dass man Politik auch für seine Grundwerte macht.“ Dem widersprach am Montag niemand. Grundsätzlich überzeugte Miersch mit seinem Vortrag die Mitglieder, trotzdem äußersten sich diese auch kritisch: „Das Rentensystem ist seit 20 Jahren nicht angepackt worden, da verstehe ich die Kritik der jungen Leute“, sagte ein Besucher verärgert. Ein anderer sagte in puncto Ministerien: „Lasst Euch nicht mit Posten abspeisen, bei denen wir hinterher wieder die Arschkarte ziehen.“ Miersch entgegnete, dass er darüber nicht zu entscheiden habe.

Was fehlt Ihnen in der Koalitionsvereinbarung? Und wie werden Sie abstimmen?

Dieter Niemann (68), Laatzen:
Matthias Miersch hat seine Ansichten sehr gut rübergebracht. In der Vereinbarung fehlt für mich eigentlich nichts. Ich fühle mich gut informiert. Einiges ist noch sehr schwammig, aber man kann in einer Koalitionsvereinbarung keine Parlamentsarbeit verstecken. Man hat heute auch festgestellt, wie unterschiedlich die Probleme sind, selbst innerhalb der SPD. Dem Koalitionsvertrag habe ich selbstverständlich zugestimmt.

Siegfried Merkel (62), Laatzen
Ich war noch unsicher, ob ich für oder gegen die Vereinbarung stimmen werde, aber ich habe mich heute überzeugen lassen. Ich finde gut, dass man den Einstieg in den Mindestlohn geschafft hat und dass die Gleichstellung vorankommt. Mir fehlt noch einiges zur Gesundheits- und zur Energiepolitik sowie zur Rente. Es ist aber klar, dass an vielen Punkten noch nachverhandelt werden muss. Ich gehe heute mit einem positiven Gefühl nach Hause.

Udo Mensing (45), Laatzen
Ich bin kein Mitglied der SPD, sondern nur aus Interesse hier. Dem Koalitionsvertrag würde ich allerdings zustimmen. Ich denke, es ist der richtige Weg zu versuchen, in der Regierung mitzuarbeiten. Dazu ist es wichtig, seine Positionen zu vertreten. Nach einem Jahr muss die SPD überprüfen, was geklappt hat und was noch umgesetzt werden muss. Die Bildungs- und Energiepolitik kommt in der Vereinbarung allerdings zu kurz.

Stefan Andreas (56), Hemmingen
Ich befürworte, dass Mindestlohn und Rente mit 63 umgesetzt werden sollen und dass die Finanztransaktionssteuer kommen wird und stimme für den Vertrag. Mit fehlt aber der große Wurf bei der Rentenversicherung nach dem Solidarprinzip. Die nächste Generation, die meine Rente bezahlt, wird auf den Kosten sitzenbleiben. Da hätten SPD und CDU mehr Mut beweisen müssen, um endlich eine große Reform anzugehen.

Jürgen Hensel (72), Laatzen
Bei der Krankenversicherung fehlt mir das solidarische Prinzip, die Arbeitgeber halten sich vollkommen raus. Mir fehlt auch die steuerliche Gerechtigkeit. Die Gut- und Bestverdiener müssten mehr herangezogen werden, damit für die Mittelschicht noch etwas übrig bleibt und damit die kalte Progression abgebaut wird. Die Vereinbarung ist in Ordnung, sie gefällt mir aber nicht hundertprozentig. Trotzdem habe ich dafür gestimmt.