Ich freue mich über den Zuspruch von Prof. Dr. Ernst-Ulrich von Weizsäcker, der in einem Brief zu meiner kritischen CETA-Bewertung Stellung bezogen hat. In diesem Schreiben unterstützt er mich ausdrücklich in den folgenden Punkten:

„Mit Recht stehen die geplanten Investitionsschutzregeln, die vertragliche Einführung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe sowie der vertragliche Angriff auf unser Vorsorgeprinzip im Zentrum Deines Papiers.

  1. Investorenschutz: In der angelsächsischen Welt sind die Investoren die Könige, das Gemeinwohl und die Parlamente werden in die Defensive gedrängt. Das darf von der SPD nicht akzeptiert werden. Gewiss müssen wir Deutschen uns an die eigene Nase fassen, nachdem wir in etlichen Handelsabkommen mit Entwicklungsländern den Investorenschutz durchgepaukt haben. Das ließ sich aber noch (allenfalls) durch die große Schwäche der Rechtssysteme der Partnerländer rechtfertigen. Bei CETA hat diese Rechtfertigung keinerlei Gültigkeit.

    Auch die von der EU-Kommission ins Gespräch gebrachte Einrichtung eines unabhängigen Handelsgerichtshofes anstelle der als ISDS bekannten Sonderklagerechte für Konzerne kann uns nicht befriedigen. Es wäre zwar ein Schritt in der richtigen Richtung, aber er bringt nur Schadensbegrenzung. Denn wenn dort der unbestimmte Rechtsbegriff der ‚gerechten und billigen Behandlung‘ von Investoren regiert, kommen alsbald die ominösen Kompensationsforderungen auf den Tisch: Die Allgemeinheit soll den ‚Schaden‘ für den privaten Investor übernehmen.

    Mit Recht forderst Du, das CETA-Kapitel zum Investitionsschutz gänzlich zu streichen.

    Indien, Indonesien und andere Staaten haben solche Investitionsschutzabkommen bereits gekündigt. Andere, etwa Australien, schließen Handelsabkommen nur noch ohne Investor-Staats-Klagerechte ab. Kommt CETA in der jetzigen Form nicht durch, würde sich dieser wünschenswerte Trend verstärken.“
  2. „Unbestimmte Rechtsbegriffe: Das ist Dein Kompetenzbereich. Gut, dass Du ihn so betonst. Die schon erwähnte ‚gerechte und billige Behandlung‘ ist einer der brisantesten Rechtsbegriffe. Wer entscheidet über seine Gültigkeit? Und wer darf im Konfliktfall ein auf Gesundheitsvorsorge basierendes Gesetz als ‚nichttarifäres Handelshemmnis‘, definieren und damit nach CETA aushebeln und /oder als Anlass für Regressforderungen brandmarken? Etwa der zutiefst suspekte ‚Gemischte CETA-Ausschuss‘, der vom Handelskommissar der EU und dem kanadischen Handelsminister geleitet würde?? Die beiden sind doch institutionalisierte Staatsanwälte des Freihandels!“
  3. Vorsorgeprinzip: Nachdem wir Europäer auf Grund unserer EU-Verträge auf ihm beharren, haben Barack Obama und Justin Trudeau bei ihrem ersten Treffen einen neuen Begriff ins Gespräch gebracht, nämlich ‚the product based precautionary approach‘, d.h. den produktbasierten Vorsorgeansatz. Das ist aber gewissermaßen eine ‚olle Kamelle‘: Es geht in Richtung Produkthaftung, verzichtet auf die vorsorgliche Beweislastumkehr und hat damit fast gar nichts mit dem Vorsorgeprinzip zu tun, nach welchem bestimmte Verfahren und Produkte bei ungeklärter Wissenslage und Hinweisen auf schwerwiegende oder irreversible Schäden gar nicht erst erlaubt werden.

    Die Nordamerikaner kommen als Gegenbegriff immer mit dem ‚wissenschafts­basierten‘ Ansatz. Das ist schon im Wort eine Publikumstäuschung. Es bedeutet, dass erst eingegriffen werden darf, wenn die gesamte Kausalkette der Schadenswirkung nachgewiesen ist und wenn darüber ‚wissenschaftlicher Konsens‘ besteht. (Ein oder zwei industriefinanzierte Wissenschaftler oder Institute können das blockieren und schadensabwendendes staatlich rechtssetzendes Handeln verunmöglichen. Als Möglichkeit bleiben da nur sogenannte freiwillige Selbstverpflichtungen der einschlägigen Konzerne.) Bei Gentechnik-Bäumen (einem Lieblingsprojekt der Amerikaner) hat man solche Beweise vielleicht in hundert Jahren in der Hand, - aber schon nach einem Jahr kritischer Forschung kann man ‚ungeklärte Wissenslage und Hinweise auf schwerwiegende oder irreversible Schäden‘ konstatieren. Das Vorsorgeprinzip greift also viel, viel schneller als der ‚wissenschaftsbasierte‘ Ansatz. Und genau darauf müssen wir Sozialdemokraten bestehen!


    Wir haben noch einen zusätzlichen Grund. Die Reichen können die Zukunft diskontieren, d.h. sie können sich mit dem durch mangelnde Schadensvermeidung zusätzlich angehäuften Kapital vor den Folgen der eingetretenen Schäden schützen. Die Armen haben kein Kapital zum Anhäufen und sind den Schäden schutzlos ausgeliefert. Für sie ist die Anwendung des Vorsorgeprinzips unverzichtbar.“